Erbrecht – vom Testament bis zum Erbprozess

 

Sage nicht, du kennst einen Menschen, bevor du ein Erbe mit ihm geteilt hast.

(Johann Caspar Lavater)

 

Die Möglichkeit, über sein Erbe zu entscheiden, gibt es noch gar nicht so lange. Früher galt der Grundsatz, dass das Eigentum nicht der einzelne, sondern die Sippe inne hatte. Zum Ausdruck kam dies in dem Sprichwort „Das Gut rinnt mit dem Blut“. Heute hat das Erbrecht sogar Verfassungsrang, Art. 14 Grundgesetz bestimmt: Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.

Das Erbrecht in seiner heutigen Form, das im fünften Buch des BGB niedergelegt ist, ist in großen Teilen seit 120 Jahren unverändert. Um zu begreifen, vor welchen geschichtlichen Hintergrund dieses Erbrecht entstanden ist, muss man sich vor Augen führen, dass die Lebenserwartung bei Festlegung der gesetzlichen Regelungen nicht über 40-50 Jahre hinausging und das Nebeneinander von mehr als drei Generationen so gut wie unvorstellbar war.

Zudem war das Vermögen in wenigen Händen konzentriert, ein Sozialstaat heutiger Prägung noch weitgehend unbekannt. Da vor dem Hintergrund der geringen Lebenserwartung die Absicherung minderjähriger Kinder durchaus ein wesentlicher Punkt war, hatte das Pflichtteilsrecht absichernde Funktion.

Die gesetzliche Erbfolge

Die gesetzliche Erbfolge bestimmt, dass das Vermögen dann, wenn kein Testament existiert, den nächsten noch lebenden Verwandten zukommt. In der Regel sind dies die Kinder und der Ehegatte oder Lebenspartner. In der heutigen Zeit ist vielfach zu beobachten, dass sich Familienverbände auflösen. In diesen Fällen kommen durch die gesetzliche Erbfolge unter Umständen ungeliebte oder unbekannte Verwandte als Erben zum Zuge, während die Menschen, die dem Verstorbenen lieb und teuer waren, leer ausgehen. Mit einem Testament lässt sich ein solches Ergebnis ausschließen.

Die gesetzliche Erbfolge führt bei mehreren Erben zwingend dazu, dass eine Erbengemeinschaft entsteht. Dies kann bei widerstreitenden Interessen dazu führen, dass ohne Testament die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft einzelne gar in persönlichen Notlagen stürzt.

Ein Beispiel: Der Ehegatte, der Alleineigentümer des Familienheimes ist, das er mit seiner Gattin alleine bewohnt, verstirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen. Es stellt sich heraus, dass der Erblasser aus vorehelicher Zeit einen Sohn hat, seine Gattin hat er zu Lebzeiten mit dieser Tatsache nicht belasten wollen. Gattin und Sohn bilden eine Erbengemeinschaft, an der jeder zur Hälfte beteiligt ist. Als der Sohn auf Verwertung des Familienheimes als einzigem werthaltigen Nachlassgegenstand drängt verliert die Gattin buchstäblich das Dach über dem Kopf, da das Haus verkauft werden muss um die Forderung zu des Sohnes nach Teilung des Erbes erfüllen.

Die testamentarische Regelung

Das vorliegende Beispiel zeigt, dass die gesetzliche Erbfolge selten zufriedenstellend ist. Aus diesem Grunde ist im Rahmen der Testierfreiheit jeder berechtigt, über seinen Nachlass frei zu entscheiden. Die Grenze bildet allerdings das Pflichtteilsrecht.

Wenn der Erblasser oder die Erblasserin verheiratet bzw. verpartnert ist und Kinder hat – vielleicht auch aus mehreren Beziehungen –, kann es sinnvoll sein, dass er oder sie in einem Testament oder Erbvertrag den Nachlass so regelt, dass eine Erbengemeinschaft ausgeschlossen wird. In dem Testament oder Erbvertrag kann sodann die Person bestimmt werden, die den Nachlass als Eigentum erhalten soll. Sollen weitere Personen an dem Nachlass beteiligt werden, so kann zu deren Gunsten ein Vermächtnis bestimmt werden.

Ehegatten und Lebenspartner können ein gemeinschaftliches Testament errichten. Ein solches Testament bringt zum Ausdruck, welchr gemeinsame Wille nach dem Tod des zuerst Versterbenden und nach dem Tod des Überlebenden gelten soll.

Ein Beispiel für ein gemeinschaftliches Testament, das es zu einer gewissen Popularität gebracht hat, ist das sogenannte Berliner Testament. In diesem Testament setzen sich die Ehegatten gegenseitig als alleinige Erben ein und bestimmen, dass der gemeinsame Nachlass nach dem Tod des Überlebenden einem oder mehreren Dritten zufallen soll, beispielsweise den gemeinsamen Kindern. Die Versorgung des Lebensgefährten des zuerst Verstorbenen wird für dessen Lebenszeiten sichergestellt. Die Kinder erben erst dann, wenn beide Elternteile verstorben sind.

Was Ende des 19. Jahrhunderts naheliegend gewesen sein mag, kann heutzutage zu schwerwiegenden erbschaftsteuerlichen Nachteilen führen. Da die Kinder nur von dem Elternteil erben, der zuletzt verstirbt, greift der erbschaftsteuerliche Freibetrag für sie nur einmal. Zudem konzentriert sich das elterliche Vermögen in der Hand dessen, der aufgrund des Berliner Testaments Erbe des zuerst Verstorbenen ist. Folglich bemisst sich der Wert der für die Kinder geltenden erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage nach dem Gesamtvermögen. Das Resultat sind Erbschaftsteuerlasten in einer Höhe, die sich vermeiden ließe.

Nun könnten Kinder erwägen, Pflichtteilsansprüche geltend zu machen. Doch auch diese Strategie führt nicht unbedingt weiter. Häufig ist das Berliner Testament nämlich mit einer Strafklausel versehen, die vorsieht, dass bei Geltendmachung des Pflichtteils der Pflichtteilsberechtigte auch bei Eintritt des zweiten Erbfalls nur den Pflichtteil erhält.

Aber auch der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner wird womöglich mit den Regelungen des Berliner Testaments nicht glücklich. Er ist nämlich dann, wenn er sich nicht rechtzeitig von dem Testament löst, nach dem Tod des Partners auf Lebenszeit an dessen Inhalt gebunden. Es ist durchaus möglich, dass der überlebende Partner viele Jahre länger lebt als der andere. Deshalb kommt es häufig zu unangenehmen Überraschungen, etwa dann, wenn ein Partner im Rahmen einer früheren Ehe ein Berliner Testament errichtet und später dann, ohne dies zu bedenken, gemeinsam mit einem Partner in zweiter Ehe ein neues Testament abgefasst hat. Dass ein Berliner Testament aus einer früheren Ehe allein durch die Existenz eines neuen Testaments nicht außer Kraft gesetzt wird und insofern unverändert weitergilt, ist leider oftmals nicht bekannt.

Dies sind nur einige ausgewählte Gesichtspunkte, die im Fall des Ehegattentestaments zu bedenken sind. Die Komplexität, die sich daraus ergibt, dass zwei Personen ihren Nachlass gleichzeitig regeln, sollte nicht unterschätzt werden.

Ebenfalls unangenehm könnte es werden, wenn beide Partner Kinder haben, die aus anderen Beziehungen stammen, und eventuell auch noch gemeinsame Kinder zu berücksichtigen sind. Patchwork-Familien sind in der heutigen Zeit nicht selten. Für sie gilt es vor dem Hintergrund der Interessen der Kinder, aber auch der unterschiedlichen Pflichtteilsansprüche, eine allen Beteiligten gerecht werdende Regelung in einem Testament zu finden.

In Ehen oder Lebenspartnerschaften ist das gemeinsame Testament eine Option. Alternativ dazu kann jeder Partner ein Einzeltestament errichten. An dieser Stelle kann die Problematik des Ehegattentestaments nicht vollständig ausgeleuchtet werden. Wie Sie aber sehen, ist es bereits in den geschilderten Situationen nicht leicht, eine allseits zufriedenstellende Nachfolgeregelung zu treffen. Ein Gutteil der Fälle, die ich in meiner langjährigen Praxis bearbeitet habe, resultiert daraus, dass die Betroffenen sich der Bindungswirkung eines gemeinsamen Testaments, der Pflichtteilsfragen oder der Möglichkeit widerstreitender Interessen in Erbengemeinschaften nicht bewusst waren. Probleme wie die oben skizzierten waren, bevor sie manifest wurden, schlichtweg nicht erkannt worden.

In folgenden Konstellationen ist die Beratung bei der Testamentsgestaltung angezeigt:

  • Testament von Ehegatten oder Lebenspartner mit oder ohne Kinder
  • Testament von Alleinstehenden
  • Testament von Paaren in nichtehelicher Lebensgemeinschaft
  • Testament von verwitweten Personen
  • Testament von geschiedenen Personen
  • Testament zum Schutz von Kindern, die noch nicht volljährig sind
  • Testament zum Schutz von Kindern, die auf Dauer behindert sind
  • Testament zum Schutz von Kindern, die überschuldet sind

Diese Empfehlung betrifft die persönliche Situation. Eine gut durchdachte testamentarische Regelung empfiehlt sich aber auch in bestimmten Vermögenssituationen des Erblassers. Nehmen Sie zum Beispiel an, das Erbe bestehe zu einem beträchtlichen Teil aus Immobilien. Da Immobilien aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht ohne weiteres geeignet sind, unter mehreren Erben aufgeteilt zu werden, stellt sich unmittelbar die Frage, ob und wie sie den künftigen Erben zugewiesen werden sollten.

Ein Testament ist immer dann sinnvoll, wenn zum Nachlass ein Unternehmen gehört. Dieses Unternehmen kann gefährdet sein, wenn der Nachlass an eine Erbengemeinschaft geht oder wenn der Erbe gezwungen ist, Geld zu beschaffen, um Pflichtteilsansprüche zu erfüllen.

Pflichtteilsrecht

Das heutige Pflichtteilsrecht ist das Ergebnis einer spezifischen deutschen Rechtstradition, deren Wurzeln auf die sozialen Gegebenheiten des Mittelalters zurückgehen. Ob es heute noch angemessen ist, wird immer wieder diskutiert. Nichtsdestoweniger hat die letzte Erbrechtsreform im Jahr 2010 die Gesetzeslage nicht grundsätzlich geändert. Kinder, Ehegatten und gegebenenfalls auch Eltern werden somit am Nachlass beteiligt, selbst wenn sie durch ein Testament enterbt wurden und somit keine direkten Erben sind.

Der Pflichtteilsberechtigte hat Anspruch auf Zahlung der Hälfte des Wertes, der seinem gesetzlichen Erbteil entsprochen hätte. Um zu verhindern, dass der Pflichtteilsanspruch durch Schenkungen zu Lebzeiten vermindert wird, steht dem Pflichtteilsberechtigten zusätzlich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Hierdurch fließt ihm ein Wertersatz für bestimmte Schenkungen zu, die der Verstorbene vorgenommen hat.

Da der Pflichtteilsberechtigte häufig zwar ein Recht hat, aber bestenfalls nur dürftig über den Nachlass, geschweige denn über die Schenkungen des Erblassers informiert ist, gilt es für ihn zunächst, sich entsprechende Auskünfte zu verschaffen. Seinen gesetzlichen Informationsanspruch muss er gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen. Bestehen Zweifel daran, dass die Auskünfte korrekt sind, so ist der Erbe verpflichtet, auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten eine eidesstattliche Versicherung abzugeben.

Die skizzierten Ansprüche bilden im Streitfall die Basis für die beiden ersten Stufen einer sogenannten Stufenklage. Auf der anschließenden dritten Stufe gilt es, den ermittelten Pflichtteilsanspruch durchzusetzen

Erbprozeß

Die typischen Erbprozesse drehen sich um die Fragen, wer Erbe geworden ist, welche Pflichtteilsansprüche bestehen und wie eine Erbengemeinschaft auseinandergesetzt werden soll.

Was die Person des Erben betrifft, so werden häufig Auseinandersetzungen im Erbscheinverfahren geführt. Die zentralen Fragen gelten hier der Testierfähigkeit des Verstorbenen, der formalen Wirksamkeit des Testaments und seiner Anfechtbarkeit sowie der Auslegung des Testaments. Je nach Komplexität kann sich eine derartige Auseinandersetzung über zwei Instanzen und mehrere Jahre hinziehen.

Im Pflichtteilsrecht ist die oben erwähnte Stufenklage typisch, es geht also um Auskunft, eidesstattliche Versicherung und letztlich Zahlung des ermittelten Pflichtteils.

In Erbengemeinschaften prallen häufig verschiedene Auffassungen im Hinblick auf die Verwertung des Nachlasses aufeinander. Während ein Miterbe am Elternhaus hängt, will der andere es zu Geld machen, das anschließend verteilt wird. Hier kann es Ziel sein, den Nachlass vollständig in Geld zu überführen, sodass er verteilt werden kann. Oder es wird ein Teilungsplan ausgearbeitet, der den Interessen aller Beteiligten bestmöglich gerecht wird.

Entsprechend meiner Philosophie versuche ich, auch bei diesen Verfahren, die sehr langwierig und belastend sein können, zunächst eine einvernehmliche Lösung zu finden. Allerdings lässt es sich manchmal nicht vermeiden, dass Prozesse bis zum Ende in aller Härte durchgefochten werden müssen.